1

»Mein Schweigen sollte dir doch ein bisschen mehr wert sein, oder?«
Sie hob die Hand, rieb die Finger gegeneinander, in denen sie die fünf Zwanzigpfundscheine hielt. Wollte ihn wohl provozieren.
Er musterte sie. »An wie viel hättest du denn gedacht?«
Sie senkte die Hand, fächerte die Zwanziger auf. Dann schob sie das Geld in die Tasche ihres kurzen Morgenrocks. Dünner, glänzender Stoff. Knallrot.
Wie billig sie doch aussieht. Das grelle Make-up, das nuttige Outfit.
Fast hätte er aufgelacht.
Sie ist eine Nutte, vergiss das nicht. Eine Nutte, die denkt, sie könnte dich erpressen.
Sie hob den Blick, sah ihn mit trotzig vorgerecktem Kinn an.
Was kommt jetzt? Wie viel Kohle verlangt sie?
»Fünfhundert. Jeden Monat.«
Er zog eine Augenbraue und einen Mundwinkel nach oben. Hoffte, dass sie seinen Gesichtsausdruck als Spott erkannte.
Sie reckte das Kinn noch weiter in die Höhe. »Damit kommst du noch billig weg.«
»Findest du?«
Sie nickte. Doch war das Unsicherheit, die da in ihrem Blick aufglimmte?
»Also noch vierhundert für den Juli. Dann ab ersten August jeden Monat fünfhundert? Bar oder willst du’s lieber überwiesen?« Er starrte ihr auf das Dekolleté. »Bekomm ich dafür dann wenigstens was? Eine kleine Gegenleistung sozusagen?«
Heftig schüttelte sie den Kopf. Ihre langen, seidig-schwarzen Haare flogen. »Nein, das kostet natürlich extra.«
Gespielt theatralisch seufzte er auf. »Das hatte ich mir schon fast gedacht.« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Dann machen wir es doch so. Das da«, er deutete auf die Tasche, in der seine hundert Pfund verschwunden waren, »ist für heute Abend und dann bekommst du diesen Monat noch fünfhundert von mir.«
Sie schien zu überlegen, biss sich auf die Innenseite der Wange.
Sieht nicht gerade vorteilhaft aus. Sollte ihr mal jemand sagen.
»Na, was ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Noch vierhundert. Kein Sex.«
»Ach, komm schon, hab dich doch nicht so. Am Telefon hast du dich nicht so geziert. Wir haben eine Abmachung.«
Erneutes Kopfschütteln. »Such dir eine andere.«
»Aber jetzt bin ich doch schon mal hier.« Er deutete auf ihr Outfit. »Du hast dich schick gemacht, siehst übrigens richtig scharf aus, also lass uns loslegen.«
Sie wich einen Schritt zurück. Ihr Blick flackerte. »Ich will, dass du jetzt gehst. Sofort.« Ihre Stimme zitterte. Nur ein wenig, trotzdem unüberhörbar.
Er stand ganz entspannt da, die Hände in den Hosentaschen, den Kopf leicht gesenkt. Beobachtete sie aufs Genaueste.
»Hörst du nicht? Ich will, dass du abhaust. Verschwinde! Jetzt sofort!« Laute Stimme, leicht hysterischer Unterton.
Sie kam auf ihn zu, wollte an ihm vorbei zur Tür.
Das konnte er nicht zulassen.
Er packte sie am Oberarm, wirbelte sie zu sich herum.
Bevor sie aufschreien konnte, legte er die Hände um ihren Hals.
Ihre Augen weiteten sich, pures Entsetzen lag in ihrem Blick.
Er drückte zu.
Sie riss die Arme nach oben, schlug kraftlos gegen seine Hände, seine Unterarme. Versuchte, ihm ins Gesicht zu schlagen.
Er wich problemlos aus.
Ich bin stärker, du hast keine Chance.
Er verstärkte den Druck.
Ihr Körper erschlaffte.
Ohne die Hände von ihrem Hals zu nehmen, schleifte er sie hinter den Paravent, der vor dem Bett stand. Legte ihren bewusstlosen Körper auf dem Boden ab, beugte sich über sie.
Als er sicher war, dass sie tot war, ließ er los. Schüttelte die Hände aus, holte sich sein Geld wieder, sah sich in dem schäbigen kleinen Raum um.
Auf dem Nachttisch lag ein Handy, das steckte er ebenfalls ein.
Als er ging, zog er die Tür nicht ins Schloss, sondern ließ sie angelehnt.
Nicht, dass du erst gefunden wirst, wenn du schon verfault bist und stinkst. Wäre doch schade um dieses hübsche Gesicht.

2

Amber stand vor dem Prince Charles Cinema und überlegte. Ganz London stöhnte unter der Hitze dieses Julitages, die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel. Sämtliche Grünflächen der Stadt wurden förmlich von Sonnenanbetern überrannt und sie dachte allen Ernstes darüber nach, jetzt ins Kino zu gehen? Am helllichten Nachmittag?
Die haben sicher eine Klimaanlage. Und Reservoir Dogs wollte ich schon lange mal wieder anschauen. Im Kino auf einer großen Leinwand würde das viel mehr Spaß machen als auf Netflix.
Sie sah auf die Uhr. Noch fast vierzig Minuten bis Vorstellungsbeginn. Amber rechnete aus, wann die Vorstellung zu Ende wäre.
Ich könnte direkt anschließend etwas essen gehen und dann nach Hause fahren.
Aber was sollte sie dann mit dem angebrochenen Abend anstellen?
Sie sah nach, wann die nächsten Vorstellungen des Filmklassikers in dem kleinen Programmkino am Leicester Place stattfanden.
Wenn ich in die Neunzehnuhr-Vorstellung gehe, wäre das nicht gar so skurril. Bis dahin könnte ich am Fluss spazieren gehen oder in den Victoria Embankment Gardens relaxen.
Relaxen? Mit Hunderten sonnenhungrigen Büroangestellten und Touristen in den Victoria Embankment Gardens? Da würde sie nicht einmal einen Quadratzentimeter freien Rasen finden.
Unentschlossen blickte sie zwischen dem Filmplakat und ihrer Armbanduhr hin und her, als das Smartphone in ihrer Handtasche zu vibrieren begann.
Das Display zeigte eine Nummer an, keinen Namen. Der Anrufer war also nicht in Ambers Kontakteliste gespeichert. An der Vorwahl konnte sie jedoch erkennen, dass es sich um eine Londoner Nummer handelte.
Sie nahm den Anruf an.
»Amber? Rosa Allen hier, Metropolitan Police Service. Wir hatten vor etwas über einem Jahr bei Operation Violett zusammengearbeitet.«
Die Entführung der kleinen Nica, an diesen Fall erinnerte Amber sich nur zu gut. Detective Chief Inspector Allen hatte damals gemeinsam mit DCI Christopher Walmsley die Ermittlungen geleitet.
Amber straffte die Schultern und drehte dem Filmplakat den Rücken zu. Ein Anruf von DCI Allen konnte nur Eines bedeuten.
»Wir benötigen dringendst deine Hilfe. Wir sind extrem knapp besetzt. Gestern wurde in Marylebone eine Prostituierte ermordet. Wir bräuchten dich als externe Beraterin.« Amber hörte, wie Allen tief durchatmete. »Ich hoffe, du bist nicht auch im Urlaub.«